Der Natur ausgeliefert – die Ohnmacht der Zeugungsunfähigkeit

Zeugungsunfähigkeit »Ich habe mich gefragt, ob ich noch ein richtiger Mann bin«

Wenn es mit dem Kinderwunsch nicht klappt, empfinden viele Männer Verunsicherung oder gar Schuldgefühle. Zwei Fotografinnen zeigen auf einfühlsame Weise, wie Betroffene mit dem vermeintlichen Makel umgehen.
Von Julian Aé, Fiona Mentzel und Milena Schilling (Fotos)

Bei den meisten Paaren stellt sich irgendwann die Frage nach der Familienplanung. Das eigene Kind macht das Familienglück vollkommen, ein neues Leben kann Sinn stiften und die Beziehung grundlegend verändern. Doch wenn der Kinderwunsch unerfüllt bleibt, beginnt für viele Paare eine medizinische und emotionale Odyssee, die auch in der Frage mündet: An wem liegt es?

»Men Are Made To Reproduce« heißt ein Projekt der Fotografinnen Milena Schilling und Fiona Mentzel, »Männer sind für Fortpflanzung geschaffen«. Schwäche und Unvermögen sind im traditionellen Männerbild kaum vorgesehen, sie sind schambehaftet und erzeugen bei vielen Betroffenen Ohnmacht – darüber zu sprechen, fällt schwer. Die fotografische Auseinandersetzung mit dem Tabuthema der männlichen Unfruchtbarkeit hinterfragt konservative Männlichkeitskonstrukte.

Schilling und Mentzel trafen Männer, machten Fotos – und hörten zu. Die beeindruckende Symbolik der Bilder wird von Interviews flankiert, in denen zwei Betroffene (die nicht auf den Fotos zu sehen sind) von ihrem Umgang mit dem vermeintlichen Makel berichten.

An was hält Mann sich fest? Benedikt Schwan war bereits 41 Jahre alt, als er die Diagnose bekommt: Azoospermie. Bei ihm lassen sich keinerlei Samenzellen im Ejakulat nachweisen. Die Ursache ist unbekannt. »Man spaltet das von sich ab, glaubt, man ist das nicht«, so beschreibt er die Reaktion auf die Diagnose. Zeugungsfähig zu sein, das gehöre zum Mannsein gefühlt dazu. »Es hat mich auch in meiner Männlichkeit erschüttert.«

Anfangs stand bei Benedikt Schwan die Angst im Raum, verlassen zu werden. Doch seine Partnerin hat ihn in der Situation aufgefangen, ihm Halt gegeben. Seine Erfahrungen hat er im Buch »Ohnekind« festgehalten – eine Form der Verarbeitung, mit der er auch anderen Betroffenen helfen möchte.

Allein gestrandet in der Kälte. Ludwig Stender (Name geändert) erfuhr eines Tages von seinem Urologen, dass mit seinem Spermiogramm etwas nicht stimmt. »Leider übertrug er mir diese Tatsache sehr kalt und sachlich«. Der damals 33-Jährige war schockiert, »wie in ein tiefes Loch zu fallen«. Er stellte sich bildlich vor, dass am Ast seines Stammbaums leider kein weiterer Ast wachsen wird.

Im Gegensatz zur Situation bei Benedikt Schwan habe seine Partnerin wenig einfühlsam reagiert, sei doch der Kinderwunsch so intensiv gewesen. Schließlich sei sie mithilfe einer Samenspende schwanger geworden. Trotz anfänglicher Ängste konnte Ludwig Stender das Kind annehmen und geht voll in seiner Vaterrolle auf.

Der Starke, der Beschützer, der, der nicht weint – der Vater. Männlichkeit ist für viele Menschen mit Attributen besetzt, die kaum Verletzlichkeit zulassen. Auch in unserer Sprache zeigt sich dieses Verständnis, manchmal wird es sogar wenig subtil mit dem männlichen Genital in Verbindung gebracht: beim »Schlappschwanz« etwa, der »keine Eier in der Hose« hat.

Das Ideal des harten Kerls ist zum Glück ein Auslaufmodell, und doch zeigt die oft tiefe Verunsicherung zeugungsunfähiger Männer, wie diese Stereotype sich über Generationen gehalten haben.

»Ich habe mich schon gefragt, ob ich jetzt noch ein richtiger Mann bin«, sagt etwa Benedikt Schwan. Durch die Auseinandersetzung mit dem Thema habe er eine andere, positiv besetzte Männlichkeit entdeckt. Es gehe ihm darum, Verantwortung für sich und seine Familie zu übernehmen, Gefühle zuzulassen, Aufklärungsarbeit zu leisten.

Obwohl viele Männer betroffen sind, wird das Thema »nahezu totgeschwiegen«, wie Benedikt Schwan es ausdrückt. Dabei ist die möglichst frühe Kommunikation und Diagnose entscheidend. »Viele Männer kriegen das erst mit, wenn es zu spät ist und fallen dann aus allen Wolken.« Es scheint wie eine kollektive Verdrängung, die Furcht vor der Blamage einer möglichen Unzulänglichkeit.

Im Spannungsfeld zwischen traditionellen Rollenmustern und dem Anspruch des emotional zugänglichen Beschützers fällt es vielen Männern schwer, ihren Platz zu finden. Vor allem, wenn der Wunsch, Vater zu werden, plötzlich platzt. »Ein Teil meiner Zukunft ist weg«, sagt Benedikt Schwan. »Ich werde niemanden haben, der mein echter Sohn, meine echte Tochter oder mein echter Enkel ist.«

Eines zeigen aber die Erfahrungen von Benedikt Schwan und Ludwig Stender: Der Austausch mit anderen Betroffenen und die ehrliche Reflexion der eigenen Situation können heilsam sein. Schwan habe »sich selbst besser kennengelernt«, sagt er. Stender beschreibt es so: »Männer möchten verstanden werden, und dieses Verständnis bekommen sie eher von Gleichgesinnten – ich kenne das gut.«

Vor allem aber braucht es Aufklärung, die Milena Schilling und Fiona Mentzel mit ihrem Fotoprojekt auf eine einzigartige, ästhetische und einfühlsame Weise vermitteln. Der Mann, er ist eben keine Befruchtungsmaschine, die korrekt funktionieren muss, um vollständig zu sein. Er ist ein manchmal verletzliches Wesen, dessen Männlichkeit sich eben nicht durch Muskeln oder die »Eier in der Hose« offenbart.

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